Rolf KuhrtGraphik PlastikBand 2 |
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Prof. Dr. Edwin KratschmerRolf Kuhrts Anatomie der Gewalt In seinem Welttheater wütet der Wahnsinn, Gewaltenergien entladen sich, Hasspotentiale brechen auf: im Rudel, in der Rotte, im Clinch, Meute gegen Meute, als Töten in Haufen, als Morde per Horde, der Bürger als Würger. Es ist offenbar eine Sozietät der Täter, eine blinde Herrschaft roher Kräfte, der Overkill einer Selbstmördergesellschaft obwaltet – eben das sich immer Wiederholende; denn es ist geschehen, es kann jetzt geschehen und es wird gewiss wieder geschehen. Er arbeitet eine Heuristik des Schreckens ab mit den Höllen, die wir uns bereiten, also unsere zwischenmenschliche Barbarei, unsere Rambo- und Hooligan-Mentalität, unsere laszive Wrestling-Lust, unsere Fascho-Anfälligkeit. Eben das Misslingen unserer Zivilisation. Eine Ästhetik des Terrors, in der jedes Maß sofort zum Exzess pervertiert. . . Dies also Kuhrts Problem: Wie fasse ich, mit welchen Formen, Farben die Exzesse, in die wir an der Jahrtausendwende geraten sind? Mittels welcher martialischen Grammatik fasse ich die Posen des Bösen? Mittels welcher Verzerrung, Verrenkung, Verschränkung verknote, verwinkle, breche ich die Formen? Wie banne ich das Aggressive, Aktionistische, Anarchische, Atavistische, Chaotische, Destruktive in eine Struktur? Wie entlarve ich das Robuste und Radikale, mittels welcher furiosen figürlichen Drastik bebildere ich die weltweiten Ausschreitungen und Abschlachtungen? Da zerfleischen sich denn dann selbst die Paare im Orgasmus: die Paarung ein triebhaftes Geschäft, ein masturbierender Gewaltakt, der jede Entwürdigung des anderen einschließt, ein brutaler Kampf der Geschlechter. Denn Pornographie ist das, was sich zwischen den lüsternen Triebmächten abspielt, aber nicht deren erbarmungslose künstlerische Darstellung. Der Künstler ist allenfalls der Voyeur, der per Zeichenstift nachstellt, wie wir uns gegenseitig "aufreißen". Bereits in seinen Blättern zur "Kreutzersonate" von 1986 hatte uns Kuhrt die wüste Hinrichtung des Geschlechtspartners vorgeführt: Das nach den Wonnen des Glücks in Hass schicksalhaft zusammen gespannte entmenschte Paar in zerstörerischer Todfeindschaft. Und das ist ihm Metapher dafür geblieben: Wie wir mit unserer Koexistenz umgehen, denn jede Vereinigung kann kollabieren, jede noch so gut gemeinte Umarmung über kurz oder lang grotesk zu extremem Schlagabtausch expandieren: Wie sich die Leiber da hysterisch umschlingen und zu unentknotbarem Knäuel verkrallen, aus dem die Extremitäten orgiastisch staken. Die Anspielung auf unsere politische Gegenwart ist eklatant. Oder Kuhrt kommt von seinem Kain-und-Abelthema nimmer los: Der Bruder schlachtet den Bruder. Wir leben seit den Mythentagen in einer Welt, wo man selbst aus Kadavern noch respektables Kapital schlägt: Der Schlächter Kain schlachtet seinen Bruder Abel gleich noch aus, entreißt ihm die Innereien und beliefert damit einen Markt. Kuhrts "Operation total" ist eine bitterböse Persiflage auf Rembrandts "Anatomie des Dr. Tulp": Abel, das vor aller Welt ausgeweidete Opfer an der Rampe. Oder immer wieder arbeitete Kuhrt am Samson-Motiv. Ihn beschäftigt die viehische Unrechtstortur aus dem Alten Testament: Wir liquidieren bestialisch, was unseren Interessen und Intentionen zuwiderläuft, wir strangulieren, was uns fremd oder unbequem ist, nennen es neuerdings "abfackeln" und „aufklatschen“. Kuhrts immerwährendes Thema also: Die Gewalt. Und spricht denn nirgends ein Trost aus seinen Werken? Nein, ein Tröster ist er nicht. Er lebt allzu wach in unserer Polis, er kennt sich und seinesgleichen zur Genüge, als dass er uns nicht rückhaltlos warnen möchte vor den Gefahren, die in uns lauern als Instinkte und Energien, und wehe, wenn sie losgelassen, wenn die dünne Humanhaut über unseren Trieben birst! Gewiss, man findet bei Kuhrt auch unschuldige Opfer genug, man findet ratlos Suchende und hilflos Kauernde, Verhüllte, Gebeugte, Sinnende, „Marsyas“ und „Daphne“ und mir scheint, dass er besonders in seinen Skulpturen dem vereinsamten geschundenen Individuum ein Denk-Mal setzen möchte. Rolf Kuhrt hat den expressiven Realismus eines Max Beckmann mit seinen eigenen Erfahrungen aus den zynischen Fundamentalismen bereichert und zu einer sarkastisch zugespitzten Bildsprache getrieben, die uns keine Ausflüchte mehr lässt. Wir sind rettungslos verstrickt in die Szenen. Er vermeldet lediglich lakonisch: Seht her, so sehe ich mich und meine Zeitgenossen. Dabei ist er auf produktive Verunsicherung des potenziellen Betrachters aus, den er als Mitwisser gewinnen möchte: Die Aktivierung des Betrachters als Gegenenergie zum Bösen und zu dessen Vernichtung – denn ansonsten mache der sich zum Komplizen der Gewalt. Freilich, man kann auch wegsehen und damit das Monströse dulden und mehren helfen. Doch wehe, wenn wir uns für besser halten als wir sind! Dann wäre Besserung nimmer möglich. Die moralischen Absichten eines Künstlers gehören gewiss nicht zu dessen künstlerischer Potenz, doch sie machen ihn humaner und seine Kunst vielleicht notwendiger. Ich glaube daher, dass es Kuhrts Ruf nicht schadet, ihn einen Gewissenstrommler zu nennen, der aus seiner sozialen Haut nicht heraus kann, eine nimmermüde Kassandra. Ich möchte seine Arbeiten dadurch gar aufgewertet wissen. Die so genannte Leipziger Schule, die sich seit den Endsiebzigern des vorigen Jahrhunderts einen Ruf als Kunstbiotop und Pflanzstätte streitbarer und umstrittener Meister erworben hat, hat in Rolf Kuhrt einen äußerst originären Protagonisten, der zugleich weit über sie hinausweist. |